Portfolio Was ist das?
Einige prinzipielle Bemerkungen:
- Der Ausdruck „Portfolio“ kann sich auf ein vorliegendes Dokument, eine Dokumentenmappe, auf eine Methode oder sogar auf ein Ideal beziehen.
- Das Konzept Portfolio ist nicht so leicht zu fassen, besonders von denjenigen, die noch nicht mit Portfolio gearbeitet haben. Portfolio bedeutet beides, Prozess und Ergebnis, Weg und Ziel, Werkzeug und Werkzeugkasten, Methode und Prinzip
- Der Begriff „Portfolio“ wird sowohl im pädagogischen als auch im beruflichen Kontext verwendet.
- Portfolio hat zu tun mit Forschung, Evidenz und Evaluation
- Ein Portfolio lenkt die Aufmerksamkeit in zwei Richtungen:
- auf die Person, die eine Portfolio(-Mappe) erstellt und
- auf die Person, der das Portfolio präsentiert wird
Glossar
Assessment | Die Spannweite des englischen Begriffs „assessment“ reicht vom Wahrnehmen über das Beschreiben zum Bewerten und Beurteilen. Aus diesem Grunde wird in diesem Handbuch gerne dieser umfassende Begriff benutzt, der in der deutschen Sprache kein Pendant hat.
Portfolio-Mappe | jede Mappe die eine „...sinnvolle Sammlung von Schülerarbeiten, die die Bemühungen des Schülers, seine Fortschritte und Leistungen auf einem oder mehreren Gebieten, dokumentiert...“ (siehe Abschnitt 2.1 Wofür steht Portfolio).
Portfolio | Wenn die Seiten und der Inhalt einer Portfolio-Mappe gebunden und fixiert sind, wird diese Form der Sammlung im Allgemeinen „Portfolio“ genannt. Wenn ein Schüler sich auf „sein Portfolio“ bezieht, meint er gewöhnlich eine gebundene, buchähnliche Form seiner Portfoliodokumentation.
Portfolio-Dokument | jedes Dokument, das ein Schüler für seine Portfolio-Mappe oder sein Portfolio aussucht.
Portfolio-Zertifikat | ein anerkanntes Dokument, das die Leistungen eines Schülers in seiner Portfolio-Arbeit zertifiziert.
Portfolio-Zertifikat-Mappe | Eine Mappe, die insbesondere Portfolio-Zertifikate enthält.
Portfolio-Standards | jeder Standard, der grundlegende Anforderungen an alle Teile der Portfolio-Arbeit definiert und so einen grundlegenden Qualifikationsrahmen für die Portfolio-Arbeit gibt.
Portfolio-Kriterien | Kriterien, die auf der Grundlage von Portfolio-Standards unter Einbeziehung der Schüler zum Zweck der Qualitätskontrolle entwickelt wurden.
Portfolio-Methode | eine Methode der Dokumentation und Beurteilung des Lernprozesses und/oder der Lernergebnisse eines Schülers auf Grundlage der Portfolio-Prinzipien.
Portfolio-Dokumentation | jede sinnvolle Sammlung von Papieren, die den Lernprozess oder die Lernergebnisse eines Schülers dokumentiert.
Portfolio-Prüfung | jede Prüfung, die Portfolio-Dokumente als Beleg der Leistungen des Schülers nutzt; eine Portfolio-Prüfung besteht gewöhnlich aus drei Schritten:
-
Der Schüler erstellt ein Portfolio, das vom Lehrer oder Vertreter eines bestimmten Prüfungsgremiums auf Grundlage der Portfolio-Kriterien bewertet, beurteilt, und kommentiert (und gegebenenfalls benotet) wird.
-
Der Schüler präsentiert sein Portfolio mündlich, mit Schwerpunkt auf die im Portfolio enthaltenen und vom Schüler gewählten Themen. Die Portfolio-Präsentation wird ebenfalls vom Lehrer oder Vertreter eines bestimmten Prüfungsgremiums auf Grundlage der Portfolio-Kriterien bewertet, beurteilt und kommentiert (und ggfs. benotet).
-
Der Schüler beantwortet Fragen, die ihm von einem Prüfungsgremium oder den Zuhörern gestellt werden und die sich auf das präsentierte Portfolio beziehen. Diese „Disputation“ wird ebenfalls auf Grundlage von „Portfolio-Disputations-Kriterien“ bewertet.
Bemerkung: in dieser speziellen Form der Prüfung, die die Portfolio-Prinzipien nutzt, werden die Vorteile eines Paradigmenwechsels deutlich.
Portfolio-Evaluation | Jede Evaluation, die auf Portfolio-Arbeit basiert; es kann sich dabei um die Evaluation einer speziellen Portfolio-Dokumentation (Portfolio) des Schülers für Prüfungs- oder andere Qualifikationszwecke handeln, oder aber um die Evaluation von Prozessen oder Ergebnissen mittels der Portfolio-Methode.
Portfolio-Bewerbung | jede Bewerbung, die Portfolio-Zertifikate oder Mappen einsetzt.
Portfolio-Assessment | das Assessment des Lernprozesses oder -ergebnisses eines Schülers, auf Grundlage von Portfolio-Arbeit oder -Dokumentation.
Portfolio-Aufgabe | jede Aufgabe, die mit Portfolio-Methoden bearbeitet wird.
Portfolio-Projekt | jedes Projekt, das so ausgelegt ist, dass Portfolio-Assessment möglich ist und die Portfolio-Methode anwendet.
Portfolio-Arbeit | jede Arbeit, die mit der Erstellung eines Portfolio, einer Portfolio-Mappe oder Dokumentation zu tun hat, d.h. Planen, Organisieren, Entwerfen, Vorstellen, Präsentieren, Bewerten, Evaluieren, Bewerben, Demonstrieren und Dokumentieren von Unterrichts- und Lernprozessen und -ergebnissen mit der Portfolio-Methode.
Portfolio-Witz | jeder Witz, der sich über Portfolio lustig macht.
Witz-Portfolio | jede sinnvolle Sammlung von Witzen, die im Zusammenhang mit einem bestimmten Thema oder einer Aufgabe ausgewählt wurden oder ein Portfolio das so schlecht gemacht ist, dass man nur ausrufen kann: „Das ist ja wohl ein Witz!“
A. Definiton:
„Ein Portfolio ist eine sinnvolle Sammlung von Schülerarbeiten, die die Bemühungen, Fortschritte und Leistungen des Schülers auf einem oder mehreren Gebieten dokumentiert. Die Sammlung muss die Beteiligung des Schülers bei der Auswahl von Inhalten, den Auswahlkriterien, den Kriterien zur Bewertung des Erfolges und seine Selbstreflektion zeigen.. (“ Paulson et al „What makes a portfolio a portfolio?” in Educational Leadership 48/1991, Ausgabe 5, S. 60 63) |
B. Die folgenden Elemente sind für ein Portfolio charakteristisch:
a. Auswahl:
Der Schüler wählt individuell
- das Thema der jeweiligen (Forschungs-)Arbeit
- die angewendeten Methoden und Verfahren
- was (welche Belege) in die Sammlung kommt
- welche Materielien aus dieser Sammlung in das Portfolio kommen
- Struktur (Gliederung) und Design der Portfoliodokumentation und -präsentation
b. Dokumentation:
Die Dokumentation des Schülers
- ist im Allgemeinen auf Papier geschrieben (noch)
- kann als digitales Dokument auf CD oder DVD gespeichert sein
- sollte Bilder und andere visuelle Elemente enthalten
- enthält ggfs. Fotos von kunsthandwerklich hergestellten Arbeiten
- entspricht ästhetischen Kriterien, die auf alle Portfolios angewandt werden. Die Kriterien werden von Lehrern und Schülern entwickelt (vgl 6.5).
c. Assessment und Selbst-Assessment:
Das Assessment durch den Schüler enthält:
- Rückblick: Was war geplant, was wurde durchgeführt, unter welchen Umständen? Was wurde erreicht?
- Reflexion: Analyse der Vorhaben und Tätigkeiten aus verschiedenen Blickwinkeln: Was habe ich getan? Wie habe ich es getan? Mit wem? Warum? Was habe ich gelernt? Wie habe ich gelernt? Welche Fertigkeiten könnte ich mir noch aneignen, welche verbessern?
- Evaluation: Über Rückblick und Reflexion hinausgehend, sollte der Schüler seinem Portfolio eine Qualitätsanalyse der angestrebten und der tatsächlichen Leistung im Hinblick auf Bemühen, Fortschritt und Zeitmanagement beifügen. Welche Bedeutung hat des Projektergebnis? Waren meine Ziele und Methoden realistisch? Habe ich sie während des Projektes geändert? Welche Belege liefern die Lernergebnisse hinsichtlich Kenntnisse, Fertigkeiten, Einstellungen und auch Kompetenzen?
d. Evaluation:
Neben der Beurteilung des Schülers selbst, enthält das Portfolio
- Dokumente zu Lehrerfeedback und -bewertung, vom Schüler ausgewählt
- Meinungen und Kommentare der Mitschüler und andere externe Beurteilungen, vom Schüler ausgewählt
- eine externe Beurteilung mit Noten oder anderen Vergleichs-Indikatoren, wenn sie vom Schüler gewünscht oder von einem Awarding Body gefordert wird.
e. Teilnahme:
Der Schüler muss beteiligt sein an:
- Entwickeln und Festlegen von Kriterien für verbindliche und freiwillige Teile des Portfolios
- Entwickeln und Festlegen der Qualitätskriterien für die Portfolioarbeit
- Evaluations-Verfahren mit Mitschülern, Lehrern und anderen
- iFeedback-Verfahren in der abschließenden Evaluation
f. Präsentation:
Der Schüler präsentiert sein Portfolio mündlich
- vor der Klasse
- bei einer Versammlung der Oberstufe
- bei einem Mitarbeitertreffen der Schule
- bei einer Monatsfeier
- bei einer Kunstausstellung
- bei einer Jahresabschlussfeier
- bei einem Schulfest
g. kritische Würdigung:
Der Schüler will sich vielleicht verbessern wollen hinsichtlich:
- Inhalte
- Methoden
- Rahmenbedingungen
- Präsentation
- Lernergebnissen
|
C. Beispiele von Portfolio-Arten:
Beispiele für Portfoliotypen (Auswahl aus über 30 Typen), geordnet nach Zielvorgaben:
a. Für ein bestimmtes Ziel:
- Performance-Portfolio
- Dokumentations-Portfolio
- Ausstellungs-Portfolio
- Assessment-Portfolio
- Berufs-Entwicklungs-Portfolio
b. für eine bestimmte Qualifikation
- Sprachen-Portfolio
- Kompetenz-Portfolio
c. Für eine spezielle Zeit während einer längeren Lernperiode
- Eintritts- / Abschluss-Portfolio zu Grundvoraussetzungen / Fähigkeiten vor / nach einem bestimmten Zeitabschnitt
d. Für eine bestimmte Lern-/Unterrichtsumgebung
- Projekt-Portfolio
- Hauptunterrichts-Portfolio
- Praktikums-Portfolio
- Klassen-Portfolio
- Jahresarbeits-Portfolio
e. Für eine bestimmtes Präsentationsmedium
- Elektronisches Portfolio
f. Für eine bestimmte Zeitspanne/Lernzeitraum
- Gesamt-(Schul)Portfolio
- Entwicklungs-Portfolio
- Jahresrückblicks-Portfolio
|
D. Portfolio-Arbeit besteht grundsätzlich aus fünf Schritten:
a. Sammeln
b. Auswahl
c. Reflexion
d. Präsentation
e. Vorsätze fassen |
E. Die Portfolio-Methode betont:
- dialogisches Lernen und Unterrichten
- Entwickeln und Anwenden einer lebendigen Feedback-Kultur
- Beteiligung des Schülers
- Persönlichkeit des Schülers
- stärkere Betonung darauf, wie gelernt wird und weniger, was gelehrt wird
- Bemühungen, Fortschritte und Leistungen statt Defizite
- Formatives statt summatives Assessment
- Berücksichtigung nicht-formalen und informellen Lernens
- Aneignung von Kompetenzen (z.B. soziale und persönliche Kompetenzen), die über Fertigkeiten, Kenntnisse und Einstellungen hinaus gehen,
- intensive und kollegiale Zusammenarbeit im Lehrerkollegium
- Paradigma des lebenslangen Lernens
|
F. Portfolio-Arbeit nützt :
a. dem Schüler, der
- initiativ ist
- Verantwortung für sich selbst und seine Mitschüler tragen will
- zunehmend Erfahrung in Teamarbeit sammeln will
- Kooperation und Dialog üben will
- lernen will, wie man effektiv lernt
- lernen will, sich selbst zu beurteilen
- lernen will, seine Leistungen angemessen zu dokumentieren und zu präsentieren
- erfahren will, dass es möglich ist, die Lernergebnisse aus nicht-formalem und informellem Lernen in den Lernprozess formalen Lernens zu integrieren
- sich seiner Kompetenzen bewusst
werden will
- auf seine Arbeit und seine Leistungen gerne stolz sein möchte
b. dem Lehrer/der Lehrerin, der/die
- erkennen lernen will, wie ein Schüler lernt
- seine/ihre eigene Betreuungsarbeit besser einschätzen möchte, indem er/sie die Schüler bei ihren Bemühungen, Fortschritten und Leistungen intensiver wahrzunehmen lernt
- durch den Dialog mit dem Schüler dessen Lernen und Fortschritte häufiger und genauer beurteilen können will
- sich durch die wachsende Authentizität des Schülers bereichert fühlen kann
- mehr über die Persönlichkeit des Schülers lernen will
- mehr Möglichkeiten haben will, den schwächeren Schülern zu helfen, sie zu ermutigen und zu begleiten
- mehr Möglichkeiten sucht, die begabteren Schüler zu motivieren
- von den Schülern an Themen herangeführt werden möchte, die er/sie bisher noch nicht in seinem Lehrplan hat
- mit seinen Kollegen enger zusammenarbeiten will
- seine/ihre Dialog-Fähigkeiten verbessern will
|
G. Indirekte Wirkungen von Portfolio:
(positive, insbesondere in Kombination mit häufigen Präsentationen jährliche/halb-jährliche/vierteljährliche/epochale):
a. auf Schülerseite:
- wachsendes Selbstbewusstsein
- wachsendes Bewusstsein für andere Lernpartner Mitschüler, Lehrer, Eltern
- wachsende Authentizität beim Präsentieren von Lernergebnissen
- wachsendes Vertrauen in die Bemühungen des Lehrers
- wachsendes Vertrauen in die Integrität der Lehrer und Mitschüler
- besseres Urteilsvermögen bzgl. der eigenen Stärken und Schwächen
- größere Motivation zur Schule zu gehen und zu lernen
b. auf Lehrerseite
- mehr Verantwortungsbewusstsein und Befriedigung im Beruf
- wachsendes Bewusstsein für die individuelle Entwicklung des Schülers
- wachsendes Vertrauen in die Bemühungen des Schülers
- besseres Urteilsvermögen bzgl. der Effektivität des eigenen Unterrichts
- engere Zusammenarbeit mit den Kollegen
- substanziellere Elterngespräche
- größere Motivation zur Schule zu gehen und zu unterrichten
- mehr Gemeinschaftssinn
c. auf Elternseite
- mehr Vertrauen in die Fähigkeiten des Lehrers, die Schüler richtig einzuschätzen und sie zu verstehen
- mehr Vertrauen in die Lernbemühungen des Schülers und seine Leistungen
- mehr Vertrauen in die Fähigkeiten der Schule den Lernprozess effizient zu organisieren
- weniger Ängste, der Schüler könnte den Erwartungen nicht gerecht werden
- mehr Vertrauen in die Zukunft des Schülers, auch wenn er einmal scheitert
- größere Sicherheit, dass die Schüler individuell und gemäß ihren Bedürfnissen beraten und vorbereitet werden
- größeres Vertrauen, dass die Schüler sich gemäß ihren persönlichen Fähigkeiten, Begabungen oder Behinderungen
entwickeln
- mehr Gemeinschaftssinn
d. seitens der Schule:
- Elterngespräche können substanzieller werden
- Kollegengespräche können substanzieller werden
- Die Verwaltung kann effektiver werden
- mehr Präsenz in der Gemeinde
- mehr Gemeinschaftssinn
|
H. Portfolio-Gefahren:
a. Der Begriff Portfolio wird zuweilen missbräuchlich verwendet, wenn die oben genannten Prinzipien missachtet werden, sei es aus Ungeduld, Unwissenheit oder einfach aus Unverständnis. In letzterem Fall benutzen Lehrer z.B. den (‚modischen’) Ausdruck Portfolio für gewöhnliches, lehrerzentriertes Arbeiten, wobei sie die eigentliche Idee missachten („Plattitüde-Portfolio“).
b. Wenn Portfolio zu Prüfungszwecken genutzt wird, kann dies zu einem Übermaß an Standardisierung führen, was im Widerspruch zu den vielfältigen Aspekten des Wahlprinzips steht („Standard-Portfolio“)
c. Portfolio kann Schüler völlig überfordern, wenn alle Lehrer immerzu und überall mit Portfolio arbeiten wollen („Overkill-Portfolio“)
|
|
„Portfolio ist so vielfältig wie die Kinder, die sie machen und wie die Klassenzimmer, wo man sie findet“
Paulson et al. 1
|